Nach dem Frühstück machte ich mich fertig und fuhr am 22.02. früh um 9:30 vom Hof. Das Gespann hatte ich mir in den sechs Wochen zuvor aus einer alten Yamaha XJ900, einem selbstgeschweißtem Seitenwagenrahmen mit zurechtgemachter Golfachse und einem von einem Bekannten geliehenen URAL Boot in meiner Kellerwerkstatt zusammengebastelt. Wollte ja schon immer mal ein richtiges „Gespann“ fahren.
Die Yamaha war in den 80ern auf „möchtegern Rennmaschine“ umgebaut worden. Zurückverlegte Gimbel Fußrasten, Vollverkleidung, Höckersitzbank, 4in1 Sebring Auspuff und Tomaselli Stummellenker. Mit meinen 1,92m ist es schon recht schwierig hier eine einigermaßen bequeme Sitzposition zu finden.
Das Wetter war frühlingshaft und bei 10 Plusgraden machte es richtig Laune die Fahrt aufzunehmen. Ich hatte ca. 450km vor mir und fuhr gleich die erste Anschlussstelle auf die A3 um Land zu gewinnen. Gespannerfahrung hatte ich eigentlich nur aus diversen Büchern und von den zwei größeren Probe- und Einstellfahrten die beiden Samstage zuvor. Ich war also höchst konzentriert und bedacht keinerlei bedenkliche Fahrsituationen aufkommen zu lassen.
So fuhr ich einige Zeit auf der Autobahn geradeaus und tastete mich an die 130 km/h. Das funktionierte sehr gut und war eine für mich akzeptable Reisegeschwindigkeit. So stehe ich keinen LKWs im Weg. Die Yamaha dreht ca. 5000 und bei leichtem Zug am Hinterrad fuhr das Teil einigermaßen gerade. Mit großer Aufmerksamkeit beobachtete ich die Fahrwerksreaktionen auf Spurrillen, geflickte Straßen und Bremsmanöver. Alles im grünen Bereich. Nach einer Stunde Fahrt hatte ich das Verlangen nach einer Landstraße, da ein Motorrad nach meiner Meinung nicht auf eine Autobahn gehört. Also rauf auf die B8 und Kurvenfahren geübt.
Siehe da, jede Kurve war eine neue Herausforderung. Die Lenkung ist durch die Telegabel sehr schwergängig und jedes Beschleunigen und Bremsen machte sich im Fahrwerk bemerkbar. Ich musste also immer lenken. Und das mit dem blöden Stummellenker in pseudo-Rennfahrerhaltung. Das ging schon eine ganze Weile, ich bin ja gut gebaut, aber nach geraumer Zeit meldeten sich meine Nackenmuskeln und die Schulter und baten um eine Auszeit. Gleichzeitig war auch der Tank leer. Gottseidank (wegen der Pause) oder leider (wegen des Verbrauchs). Also ran an die Tanke und das gerade mal nach 150km.
Das Ding schluckt fast 10 liter auf 100 km. Aber logisch, die Windlast und das Zusatzgewicht müssen überwunden werden. Nach ein paar isometrischen Übungen gings weiter Richtung Eifel. Gleich machte es wieder Spaß durch die Kurven zu wetzen. Das beladene Boot war dabei eine Hilfe. Langsam wurde ich auch mutiger und bekam richtiges Fahrgefühl. Der Sch… Stummellenker ist wirklich fehl am Platze. Wer zum Teufel hat sich so nen kleinen Lenker überhaupt ausgedacht? Tomaselli – wer ist dieser Tomaselli. Bestimmt so ein kleingewachsener cholerischer Italiener der diese Fehlkonstruktion im Suff erfunden hat.
Zurück auf die Autobahn und Frankfurt im Visir. Über mir schweben die Jumbos zum Landeanflug herein. Ich dachte schau mal an, da sitzt auch so ein Pilot drin, der mit einer Maschine kämpft die man nicht so ohne weiteres Steuern kann. Wir haben momentan einen ähnlichen Job. Der Jumbo schwankt mit den Tragflächen kurz nach links und rechts. Der Pilot muß anscheinend den Seitenwind ausbalancieren um die Landebahn nicht zu verpassen. Ich bin auch ständig am Steuern um den Kurs beizubehalten. Bin ich also auch Pilot? Ab wann ist man denn Pilot? Immer dann, vermute ich, wenn man einen Apparat steuert oder lenkt, der von alleine niemals eine Richtung halten könnte. Im Wikipedia kann man nachlesen:
Ein Pilot ist eine Person, welche berechtigt und in der Lage ist, ein komplexes Fahrzeug zu steuern.
Das trifft zu. Mein Gespann ist echt komplex und nicht einfach zu steuern. Kein vergleich mit irgendwas anderem das ich jemals gefahren bin. Aber mit Spaßfaktor.
Gegen Nachmittag kam ich dann in Koblenz an, wo ich noch einen Bekannten zu besuchen hatte, der auch Mopedfahrer ist. Im Dunkeln fuhr ich dann die letzten 60km zum Nürburgring auf der Landstraße hoch und kam nach dreimal Tanken und einigen Pausen wegen eingeschlafener Füße und schmerzenden Schultern auf dem Elefantentreffen an.
So ist das also mit dem Gespannfahren. Macht viel arbeit, bringt aber viel Spaß und das Gepäck bringt man ganz locker im Beiwagen unter. Ich hatte sogar einen Klappstuhl und Klapptisch dabei. Welch ein Luxus! Nach einer fast schlaflosen Nacht im Iglu-Zelt kochte ich mir auf einem russischen Benzinkocher frischen Kaffee und genoss ein kleines Frühstück vor meinem Zelt. Später dann traf ich mich dann wie abgemacht mit zwei Freunden, die aus dem Norden angereist waren.
Wir missbrauchten mein Gespann als Laster zum Holzholen (sehr praktisch) und nahmen zu dritt damit an der abendlichen Fackelfahrt teil. Im Gelände hat das fahren mit so einem Gefährt noch mal einen anderen Reiz. Wenn das Hinterrad wegschmiert und man trotzdem nicht umfallen kann, das ist schon was besonders. Driften macht Laune.
Am Sonntag nachdem ich alles wieder im Boot verstaut hatte machte ich mich auf den Rückweg, wobei ich zu 70% die Autobahn benutzte. Ich fühlte mich jetzt schon richtig routiniert und fuhr auch schon mal 150 km/h. Da kommt man vorwärts, da macht es Spaß. Gut das die XJ fast 100 PS leistet und zwischen 5000 und 6000 ein schönes Drehmoment abgibt. Das Motorrad ist in meinen Augen gut geeignet für Gespannbetrieb. Nur der Lenker……Tomaselli du Hund. Der Blitz soll dich auf ………. Treffen. Na warte, ich komme demnächst nach Italien ........
Aber was soll’s, ich bin ja selbst Schuld. Ich wollte es ja nicht anders. Im Gegenteil, wahrscheinlich will ich es jetzt auch nicht mehr anders. Gespannfahren, das muß ich als alter Solofahrer zugeben, hat mich voll in seinen Bann gezogen. Durchaus kann ich mir vorstellen wie man mit einem Autobereiften 14 Zoll Gespann Reisen kann. Man fällt überall auf und wird oft angenehm angesprochen und der Fahrreiz unterscheidet sich gänzlich von allem Bekannten.
Für mich war es eine schöne Tour bei bestem Frühlingswetter mit monumentalen Fahreindrücken und Suchtpotential. Gespannfahren ist und bleibt für mich ein Thema. Erstaunlich, was man innerhalb drei Tagen so lernen und erleben kann.
Jürgen
(sidebikejim)
…… der von breiten Lenkern und Autoreifen träumt