Beste Bohne hat geschrieben:Olaf, du weißt genau was ich meine. Wir gehören dort nicht zur Zielgruppe und zum gern gesehen Kundenkreis.
Ja Jens, ich weiss genau was du meinst. Und ich habe auch so meine Erfahrung gemacht. Die setze ich gleich noch oben drauf.
Ich weiss, dass anfangs die übelsten Penner einem auf dem Deich nachjagten mit einer kleinen Registrierkasse vor dem Bauch und die Kurtaxe beitrieben. Mit verkniffenem Gesicht, keines Lächelns oder einer positiven Regung oder Äusserung fähig, das Antlitz ihrer Region bzw. Landkreises repräsentierend mit Nazi Parolen im Abgang, wenn es Diskussionen gab. Ihren Arbeitgebern muss das egal gewesen sein, die Dauerkurgäste scheinen dort das bessere Geschäft zu sein.
Deiner Verbrüderung folgend stimme ich dir zu, "wir" sind nicht das richtige Klientel für die deutsche Nordseeküste, soweit es die Mopedfahrerei betrifft. Motorradfahrer kaufen nix, bleiben nicht über Nacht und geben wenig Geld in der Kneipe aus. Diskutieren ewig, wollen keine Kurtaxe zahlen weil sie nie lange bleiben.
Ich weiss auch noch, wann ich die erste Kurtaxe zahlen sollte und habe dabei wichtige Dinge für mein Leben erfahren.
Im Winter 1975/1976 war´s. Am dritten Januar habe ich erfahren, dass es mehr gibt als Bundeswehr, Ersatzdienst oder Steuern zahlen.
Ich wurde zum Deichschutz während der schweren Sturmflut eingezogen. Höchst offiziell mit Stempel vom Oberkreisdierktor, einfach weil ich da noch wohnte. Auch nur offiziell, denn meinen ersten Wohnsitz hatte ich schon einige Zeit in Hessen. Ich war "zuhause" bei meinen Eltern und folgte brav dem Notruf zur Nachtwache. Einige andere auch. Auf unserem Deichsegment waren aber nur etwa 10 Freiwillige, oder Eingezogene. Es waren nicht alle gekommen, die ich kannte. Es gab auch nur drei Deichsegmente, die nämlich, die bereits Schäden aufwiesen. Die Bundeswehr bemühte sich Sandsäcke bei zu karren, kam aber nicht nach. Der zivile Einsatzleiter, zugleich Polizist, kam alle halbe Stunde und hatte auf der halben Nacht ein paar Pullen Rum dabei, die portioniert ausgegeben wurden.
Da "unser" Deich nicht brach, habe ich keine schlechte Erinnerung an die Nacht, auch an das schwere Wetter nicht, im Gegenteil. Schon 2 Jahre zur Stadtpflanze verkommen, merkte ich bald wieder, dass ich noch lebe.
Ich ging auch in der zweiten Nacht noch hin. Das Wasser stieg nicht mehr und es gab Entwarnung. Es hätte auch nirgends mehr hin steigen können, der Deich war bis zur Oberkante voll gelaufen. Unsere mit Sandsäcken gefüllte Kerbe hielt interessanterweise.
An Pfingsten war ich wieder da und wollte mal sehen, was aus dem Malheur geworden ist. Die Schäden waren noch nicht alle wieder in Ordnung gebracht, aber ein ebensolcher Penner, wie oben beschrieben, machte mir nach und verlangte Kurtaxe. Ich lies mich nicht auf eine Diskussion ein, sondern habe ihm nur kurz Bescheid gestossen, zahlte nicht, sondern verliess das Terrain um meinen Wohnsitz dort ab zu melden. Ich befand zu diesem Zeitpunkt, dass "Heimat" oder "Zuhause" da ist, wo man wohnt oder sich wohl fühlt, nicht zwangsläufig da, wo man aufgewachsen ist und schon gar nicht dort, wo man auch noch blöde angepöbelt wird. Es war nicht der Undank, aber durch die nächtliche Aktion bei eisiger Kälte mit nassen Klamotten war das Stück Deich auch zu "meinem Deich" geworden.
Ich war seither nur noch 3 oder viermal dort. Einmal nachdem ein Öltanker in der Elbmündung abgesoffen war. Da dachte ich: was regste dich auf, die wollen es doch nicht anders.
Hat mich sehr beschäftigt dein Thema, aber es ist eben dein Thema, Jens. Babi hat doch nur nach einer Pension gefragt.
Und dennoch, die Kurtaxe ist sicher auf die ein oder andere Art ärgerlich, aber wenn ich in Hamburg an der Elbchaussee nen Kaffee trinke, habe ich auch das Gefühl abgekocht zu werden. Da geht es halt über die Gewerbesteuerhebesätze. Die Küstenregion hat aber keine Chance. Die Leute dort müssen genauso viel für ihre Energie und ihr Fressi bezahlen, wie ihr in Hamburg, nehmen aber nicht an der wirtschaftlichen Entwicklung teil. Die Leute, die dort übernachten wollen, sehen das ganz gelassen. Das ist dort deutlich günstiger als in Hamburg oder an der westischen Ostsee. Travemünde, Scharbeutz und so. Wenn die Tagestouristen die günstigeren Osttarife auch an der Nordsee erzwingen wollten, müssten sie damit leben, dass die industriealisierung der Küste ihren Erholungswert noch mehr schmälert als die Containerschiffahrt. Überleg doch mal, welche Rolle der Soli dabei spielt, und was der Deichschutz an der Ostsee kostet. Wr nicht bereit ist, seinen Obulus dafür zu entrichten, wendet sich von dieser weltweit einmaligen Region ab und frisst auch kleine Kinder.
Und dann gibt es eben noch diese zweite Form des "wir", die mopedfahrenden Familienväter, die über Nacht bleiben...
Kauf Dir mal ne Flasche Köhm, Jens, oder Rum, setz dich auf dein Moped und fahr zu Ostemündung raus. Nicht über die B73, sondern durch die Flugzeugwerft in Finkenwerder die "Appelstrasse" nach Jork, Balje usw. Am Sperrwerk kannst du dein Moped abstellen und zu Fuss zum Leuchtturm dort rausgehen. Da oben haust ein Zivi, der das seltene Glück hat, seinen Ersatzdienst als Vogelbeobachter im Wattenmeer zu leisten. Er macht 2-3 Wochen Schichten und verlässt dabei das "Haus" nicht. Er freut sich über jeden Besuch und jeden Schluck, den er nicht selbst bezahlen muss. Ich weiss nicht, ob es noch so ist, aber es wäre doch eine interessante Erfahrung. Sie zeigt einem ein bisschen, wo man "zuhause" ist.
Angenehme Arbeitswoche allerseits.