von Richi » 19. Dezember 2013 16:02
Zuerst einmal ein Kompliment an Schwarzwäldler, dass er mit seinem Eröffnungsbeitrag das Thema „ABS im Gespann“ mal wieder aufgegriffen hat – wenn auch etwas unglücklich. Ein weiteres Kompliment, dass er trotz der Anfeindungen, zwar nach einigem Stolpern, dann doch die Souveränität gefunden hat, die Diskussion gewinnbringend weiter zu führen.
Auch wenn ich in einigen Dingen anderer Meinung bin, aber deswegen diskutiert man ja, muss ich ihm in einem Punkt jedoch im vollen Umfang recht geben: Bei einem modernen Gespann muss es zwingende Voraussetzung sein, dass auch bei einer Panikbremsung das Fahrzeug sicher und ohne andressiertes virtuoses Betätigen der Bremshebel und ohne Lenkkorrekturen sauber in der Spur bleibt (nichts anderes fordert übrigens die immer noch gültige EU Richtlinie Rili93/14 EWG). Wenn ein modernes Gespann diese Anforderung nicht erfüllt, hat es auf jeden Fall der Gespannbauer zu vertreten, ob er es nicht besser konnte/wusste oder weil der Kunde es so wollte sei mal dahingestellt, aber letztlich ist da auch noch der begutachtende TüV Sachverständige als Regulativ in der Pflicht. Wenn nun aber verantwortungsvolle Prüfer ein solch „mißglücktes“ Gespann nicht abnehmen wollen, wendet sich der Erbauer einfach an einen Gespannhersteller in Süddeutschland, der gegen eine entsprechende „Bearbeitungsgebühr“ das begehrte positive Gutachten erwirkt. Er ist nämlich durch seine optimierte betriebliche Organisation in der vorteilhaften Lage, keine Prüfungen nachweisen zu müssen. Es muss nur die Fahrzeug bezogene Papierdokumentation vollständig sein. Meiner Meinung nach, eine in der heutigen Zeit fragwürdige Geschäftsidee.
Die Negativbeispiele die Schwarzwäldler während seines Gespannlehrganges kennen lernen durfte, wurden absichtlich in dem Kurs benutzt, um den Teilnehmern nahezubringen, wie man mit solchen Bremsanlagen umgehen muss (so Falk Hartman). Da viele Kursteilnehmer sich kein neues modernes Gespann leisten können oder wollen, suchen sie auf dem Markt nach einem Gebrauchtfahrzeug. Und da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, ein älteres und somit weniger gut abgestimmtes Fahrzeug angeboten zu bekommen.
In einem anderen Punkt muss ich Schwarzwäldler aber in aller Deutlichkeit widersprechen: Mit dem unglücklich formulierten Rat, bei jedem Gespannhersteller sofort auf dem Absatz kehrt zu machen, sobald er von der Weiterverwendung des Motorrad-ABS im Gespann abrät und diesen oben drein auch noch als Betreiber einer Bastelbude bezeichnet, geht er entschieden zu weit.
Sind diese Gespannhersteller aber wirklich technisch so unfähig und unwissend, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als vom ABS abzuraten, obwohl sie damit riskieren, einen begehrten Auftrag zu verlieren? Ich glaube, dass es sich Schwarzwäldler hier zu einfach macht!! Warum?
Die rein technische Adaption des Motorrad-ABS in eine Gespannbremsanlage stellt selbst für einen weniger erfahrenen Gespannhersteller wirklich keine Herausforderung dar, zumal wenn er, wie in diesem Falle die maßgeblichen Motorrad-Umbaukomponenten einschließlich Sensorscheibe/n von einem erfahrenen Hersteller erhalten kann. Es müssen also andere Gründe für diese ablehnende Haltung vorliegen.
Ein Erklärungsversuch:
Bis heute hat noch kein heimischer Gespannhersteller die sichere und zuverlässige Funktion des im Gespann weiterverwendeten Motorrad-ABS unter nachvollziehbaren Bedingungen prüfen lassen (zuständig wäre hierfür die Bremsenprüfstelle des TüV-Süd in Garching). Die Skeptiker unter den Herstellern wollen die Langzeiterprobung (=Zuverlässigkeitsnachweis) entsprechend umgebauter Fahrzeuge nicht, wie es die Befürworter praktizieren, dem Kunden überlassen. Betrachtet man das Ganze vor dem Hintergrund, dass bei den ausführenden Gespannherstellern bis vor Kurzem nachweisbar nur nebulöse Kenntnisse über die Funktionsweisen der modifizierten/manipulierten ABS-Anlagen vorhanden waren, so kann man schon nachdenklich werden. Ich stelle in Zweifel, dass sich der Kenntnisstand in der Zwischenzeit so enorm entwickelt hat, dass eine übergeordnete fachkundige Prüfung überflüssig geworden ist.
Die Skeptiker waren sich aber sehr wohl ihrer lückenhaften Kenntnisse über die Funktionsweisen der ABS-Technik stets bewusst und zollten ihr den entsprechenden Respekt. Sie wollten weder den Kunden noch sich selbst dem Risiko einer Fehlfunktion des ABS und somit ggf. einem Schadenereignis aussetzen.
Eine Rolle mag auch spielen, dass die überwiegende Mehrheit der Gespannhersteller als Personengesellschaften firmieren und mit ihrem Gesamtvermögen für etwaige Schäden haften, selbst dann, wenn sie eine Produkthaftpflichtversicherung abgeschlossen haben. Diese lehnt eine Haftungsübernahme grundsätzlich ab, wenn keine nachvollziehbare Eignung der verwendeten Technik (z.B. hier: ABS) nachgewiesen worden ist, zumal sich die ABS-Hersteller gegen eine Weiterverwendung ihrer Systeme ausgesprochen haben. Eine GmbH ist da wesentlich besser dran, da sie nur in Höhe ihrer Einlagen haftet.
Schwarzwäldler hat mit der GL 1800 (vermutlich unbewusst) eine glückliche Wahl getroffen, da das Motorrad von Haus aus über ein sehr einfach aufgebautes ABS verfügt, dass, wie es scheint, relativ unempfindlich auf Parameteränderungen reagiert. Desweiteren bietet die GL kaum Möglichkeiten, die vorhandenen Bremspumpen durch solche mit größeren Kolben zu ersetzen. Diese Voraussetzungen führten dazu, dass der Gespannhersteller auch nicht in die Bremshydraulik des ABS eingreifen konnte und eine andere Lösung zur Anbindung der Beiwagenbremse finden musste. Letztlich wurden nur die Räder geändert und alles andere blieb unverändert. Eine gute Voraussetzung, ein hinreichend funktionierendes Gespann-ABS zu erhalten. Es verbleibt aber trotz alledem der fade Beigeschmack, dass die Zuverlässigkeitserprobung aus Kostengründen durch den Kunden erfolgt. Und das Argument, dass ja schon viele Erfahrungen mit solchen Umbauten vorliegen, steht auf tönernen Füßen, da keine GL einem Langzeitmonitoring unterzogen worden ist und die Anzahl der umgebauten GL´s zu gering ist, um eine statistisch abgesicherte Aussage zur Funktionssicherheit ableiten zu können.
Ein mit konventioneller Bremsentechnik sauber abgestimmtes Gespann erzielt Bremszögerungswerte, die derzeit jedem übernommenem Motorrad-ABS deutlich überlegen sind – und sie bleiben ohne jegliche Lenkkorrektur in der Spur. Wird die Bremsanlage von vornherein darauf ausgelegt, sind die Mehrkosten bezogen auf die Gesamtumbaukosten marginal.
Hervorragende Verzögerungswerte in Verbindung mit absoluter Richtungsstabilität auch unter schwierigsten Bedingungen erreicht man derzeit nur mit einem adaptierten Pkw-ABS.
Alle Antiblockiersysteme, egal ob vom Pkw oder Motorrad übernommen, haben einen nicht unbedeutenden Vorteil gegenüber den konventionellen Bremsanlagen: Sie verhindern sehr wirkungsvoll ein Ausbrechen des Gespannes auch bei stark wechselnden Lastveränderungen (Beiwagen leer zu Beiwagen voll beladen) bzw. Reibwertunterschieden an den einzelnen Rädern. Konventionelle Bremsanlagen hingegen können nur auf einen bestimmten Beladezustand optimal abgestimmt werden wobei die Reibwerte gleich sein müssen. Mit Hilfe von Druckregelventilen kann man ggf. noch ein klein wenig korrigieren. Das funktioniert aber nur in einem schmalen Druckbereich. Eine gute Lösung zur Anpassung der Bremsbalance bietet der Waagebalken in der Fußbremsanlage. In der Handbremsanlage ist diese technische Lösung nur mit sehr viel Aufwand realisierbar (System Roland Herbiger).
Ein Motorrad-ABS, dessen Funktionssicherheit und uneingeschränkte Wirksamkeit nachvollziehbar nachgewiesen worden und reproduzierbar ist, würde jedenfalls einen deutlichen Sicherheitsgewinn darstellen und auch recht gute Verzögerungswerte liefern, wenn die Radbremskomponenten ordentlich aufeinander abgestimmt sind und der Aufbau dem einer guten konventionellen Anlage entspricht. Eine solche Bremsanlage gäbe dem Gespannbesitzer die Gewissheit ein sicher funktionierendes und leistungsstarkes System erworben zu haben. Es würde Vertrauen in die Technik schaffen und die Gespannhersteller unter den Schutzschirm der Produkthaftpflichtversicherung stellen. Auch dies wäre zugleich ein Vorteil für einen geschädigten Kunden, da dieser sicher sein könnte, dass sein Schaden auch finanziell abgedeckt ist, wenn einmal der schlimmste Fall aller Fälle eintreten sollte.
Schwarzwäldlers positive Erfahrungen sind nicht auf andere ABS-Anlagen übertragbar vor allem nicht auf die aus dem Hause BMW. Diese Anlagen sind so extrem auf das betreffende Solomotorrad optimiert, dass Parameteränderungen und/oder Eingriffe in die Hydraulik deutliche Funktionseinschränkungen bewirken können.
Die v.g. ABS-Bremsanlagen besitzen nämlich eine Sicherheitsfunktion (in der Software abgelegt), die verhindern soll, dass sich das Solo-Motorrad bei einer Vollbremsung überschlägt. Als Regelgröße wurde ein, durch langwierige Fahrversuche, ermittelter und fahrzeugabhängiger hydraulischer Druck im Handbremskreis festgelegt, der, wenn er erreicht wird bewirkt, dass das ABS-Steuergerät die Bremskraft am Hinterrad bis auf Null herunter regelt und am Vorderrad wirkungsvoll reduziert, um so den vermeintlichen Überschlag zu verhindern. Dieser Druck wird bei einem Gespann auf griffigem und trockenem Untergrund relativ schnell erreicht, ohne dass das Hinterrad den Bodendruck gravierend verändert, da ja der Schwerpunkt abgesenkt und der Radstand vergrößert wurde sowie die Radlasten angestiegen sind. Die Auswirkungen sind in einem Notfall fatal: Die Hinterradbremskraft geht vollständig verloren, während die Vorderradbremse öffnet. Der Bremsweg verlängert sich infolge dessen ggf. dramatisch (ein spezielles Exemplar dieser ABS Geräte reduziert den Druck sogar derart, dass gerade noch der gesetzliche Mindestverzögerungswert erreicht wird und das auf trockener Straße!!!!). Der Bremswegweg verlängert sich erheblich, was Herr Wolfgang Lorenz von ProSidecar, in seinen Sicherheitskursen auch bereits regelmäßig festgestellt hat (siehe MG Nr. 139 S. 57).
PS
Die Bewertung der GL-Gespann-Bremsanlage, die Schwarzwäldler sicherlich von seinem Gespannhersteller übernommen hat, lässt leider wesentliche Aspekte außer Acht:
1. Die Beiwagenradbremse bremst bestenfalls vom Beiwagengewicht nur den Anteil ab, der der Radlast entspricht (und nicht wie behauptet das gesamte Beiwagengewicht). Den Rest muss die Hinterradbremse zusätzlich übernehmen. Diese wird obendrein durch die auf das ca. vierfache angewachsene rotatorische Masse des modifizierten Hinterrades beansprucht.
2. Da die Beiwagenradbremse nicht mit der Vorderradbremse gekoppelt ist, muss die Vorderradbremse in Verbindung mit der Hinterradbremse (HONDA CBS) das Gewicht des Gespannes abbremsen. Sitzt nur der Fahrer auf dem Motorrad, entspricht dieses abzubremsende Gewicht bereits schon ca. 110% des ursprünglichen zulässigen Gesamtgewichtes des Motorrades. Aufgrund der fehlenden Beiwagenradbremskraft ist der Beiwagen bestrebt, das Gespann nach links zu drücken. Diese Eigenschaft wirkt sich auf Fahrbahnen mit stark verminderter Griffigkeit ungünstig aus, da die Seitenführungskraft des Vorderrades damit überfordert ist. Das Gespann bricht aber trotzdem nicht nach links aus, weil das Vorderrad-ABS durch einen stark herunter geregelten Bremsdruck dafür sorgt, dass sich das Rad nur noch mit geringem Schlupf weiterdreht. Der Bremsweg verlängert sich überproportional.
3. Kein Motorradhersteller legt die Bremsanlagen auf einen Dauerbetrieb mit zulässigem Gesamtgewicht aus. Das Problem ist dabei nicht die im Einzelfall auf zu bringende Bremskraft, sondern die Fähigkeit die Wärmeentwicklung bei kurz hintereinander vollzogenen Bremsvorgängen aufnehmen und möglichst rasch wieder abgeben zu können. Je größer die kinetische Energie des Gespannes ist (Masse / Geschwindigkeit), umso höher ist auch die entstehende Reibungswärme.
4. Bei zulässigem Gesamtgewicht des Gespannes werden die Motorradbremsen bei der vorliegenden Bremsanlagenkonzeption deutlich über dem vom Motorradhersteller konstruktiv vorgegebenen Belastungsprofil beansprucht (siehe auch Ziff. 1). Die Mehrbelastung beträgt für den Handbremskreis ca.60% (errechnet aus zulGesGew Gespann und zulGesGew Motorrad).
Solange man nicht einen sportlich ambitionierten Fahrstil pflegt oder rasant die Pässe rauf und runter fährt, reichen die konstruktiven Reserven völlig aus, ohne Abstriche hinnehmen zu müssen. Der Fahrer muss aber genau wissen, wo die frühen Grenzen seiner Bremsanlage liegen, da ansonsten die Gefahr besteht, dass seine Gesundheit und die optische und technische Vollkommenheit seines Prachtstückes (gemeint ist natürlich das sehr schöne Gespann) in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.
Ein ESP soll das Schleudern eines Fahrzeuges unterbinden. Bei einem vierrädrigen Fahrzeug wird dies durch einen selbständigen wechselseitigen Eingriff der Radbremsen erreicht solange, bis der Schleudervorgang beendet ist oder die physikalischen Grenzen endgültig überschritten wurden. Außer einem ABS mit integriertem ESP benötigt man dazu noch entsprechende Sensoren die die Gierbewegung aufnehmen und an einen Rechner weiterleiten, der mit relevanten Daten des Fahrzeuges programmiert wurde. Welcher Gespannhersteller sollte dazu in der Lage sein, so etwas zu entwickeln und vor allem, wer soll das bezahlen???