von Crazy Cow » 27. Mai 2018 15:46
Wo waren wir heute mit dem Gespann?
Gar nirgends.
Sitze hier vor meinem Balkon, raumhohes und raumbreites Fenster, ist wie draußen, nur angenehmer, Temperatur und Licht gleichmäßig, schön schattig, aber Vogelsang, ab und an brummt eine Tante Ju durch den Hummelschwarm.
"Ist doch ideales Motorradwetter" sagen die Nachbarn immer, wenn sie mich vor der Garage sehen. Ja, sag ich dann, ist es aber nicht. Hier auf dem Berg ist es schön still, kommst du runter, was schwer genug ist zwischen beidseitig parkenden SUV, gerätst du mittenmang die Gestörten.
Gestern mal wieder Odenwald, hab ich dann anschließend von meiner Menüliste gestrichen. Hat doch keinen Zweck. Was treibt die Leute um? Samstagabend bis halb acht, dann habe ich aufgegeben. Im O-wald sind zur Zeit etliche Nebenstrecken gesperrt, so dass man umgeleitet zwangsläufig wieder an seine Mitmenschen gerät, da bleib ich lieber mit dem Arsch zu Hause. Einrollen, Energie sparen. Hatte ja im Vorfeld erst mal zusätzliche Kosten, um ab jetzt sparen zu dürfen.
Die letzten drei Wochen war ich mehrmals im Vogelsberg, der hat irgendwie seinen Charme behalten, man trifft aber niemanden mehr. Viel Moppedfahrer, aber auch gestörte. Vielleicht sind die auch normal und ich bin gestört, weiß ich nicht, kann aber sein. Der Schottenring ist zur Hälfte gesperrt, wenn man das weiß kann man andere Routen wählen, ich wusste es aber zunächst nicht. Bin dann ganz in den Norden abgedriftet, wo es abends kalt wird und niemand mehr auf der Straße ist. War ganz schön. Im Vogelsberg ist jedes Dorf mit dem anderen verbunden, ein Dreiecksnetz praktisch, man kann ewig viele stille Ausweichstrecken fahren, ganz ohne Navi natürlich.
Der Taunus, den habe ich etliche Male bei kaltem März- und Aprilwetter heimgesucht, ist hingegen eher wie der Odenwald, man braucht ein Ziel. Häufigstes Ziel der Moppedfahrer ist der Große Feldberg. Scheußlich. Meist so frisch und umnebelt wie das Torfhaus im Harz oder der Kahle Asten im Sauerland, nur viel ungastlicher. Entweder wirkt sich das auf die Moppedfahrenden Zaungäste aus, oder sie sind die Ursache dafür. Nirgends siehst du soviele "Biker" mit ihrem Handy quatschen, wie dort. Kannze vergessen. Die meisten fahren auch noch scheiße und die desorientierten Autofahrer ü70 verschreckt mit seltsamen Reaktionen. Ab und zu ein Porschereiter, der fest davon überzeugt ist, dass er bergab schneller ist als eine Duc. Mich stören die Geräusche dann schon.
Letzt Woch, Vattertagswochenende, solofaahn. Neue Reifen, Angel ST, hat richtig Spast gebracht. Langer Weg durch und um den Vogelsberg, Hoherodskopf, E. getroffen. Der ist gerade achtzig geworden und bei seiner Horex wird der Motor überholt, also irgendwas boxermäßiges neueren Baujahres. War gut drauf, hoffentlich klappt das bei mir auch, wenn ich mal so alt bin.
Zwei Wochen vorher ist dort übrigens, ich war gerade auf dem Weg zu meinem Gespann, eine NSU Max, links daneben stehend einfach einer großen Zuneigung folgend, nach rechts gekippt, mitten in mein Gespann hinein. Der Fahrer wurde hinzu gerufen und ermutigt: "an soner Max passiert ja nicht viel, die hält sowas aus." "Ja, sagte der, wenn die mal in einen Joghurtbecher fiele, hätte man einen richtigen Schaden. Wem gehört denn eigentlich das Gespann dort?"
An der Max waren Fußraste und Lenker verbogen, die Lampe lunste nach rechts und das Bremspedal wollte woanders hin. Das gröbste war in wenigen Sekunden gerichtet. Und ich solle nur meine Schäden versicherungsmäßig wieder richtig in Ordnung bringen lassen. Ich fand aber keine. Ein tiefer Kratzer im Lack des vorderen Kotflügels war da (und ein ebensolcher im Lack der Alufelge, wie ich gestern feststellte) also schlug ich stattdessen 10 Euro für einen Lackreparaturstift vor. Er hatte nur einen Zwanziger, so dass also zwei Pinselfläschchen gekauft werden können.
Ja, ja, die Joghurtbecher, schon schlimm, oder?
Na gut, zwei Wochen drauf also, Vattertagswochenende, bin ich nach ü 200km Vogelsberg An- und Umfahrt noch runter in den Spessart. Vor Steinau ein Pulk 50er Jahre Mopeds aus Würzburg, da ich einige Kilometer hinterherfuhr konnte ich sie nicht identifizieren, von hinten ähneln sie sich doch sehr, Max und Regina, Adler und R25/26/27. Selbst am Geruch sind sie aus heutiger Sicht kaum noch zu unterscheiden. Die fuhren dann auf die Bundsstraße, ich Nebenstrecke Rtg. Bad Orb, Wiesen. Da führte dann ein "Oldtimer"-Gespann die Kolonne an. Das roch aber noch unschöner als der Moppedpulk, so dass ich mich entschloss, aus hinterer Reihe (mit der Solo) dran vorbei zu pfeifen. Beim Gespann vorne war ich schon zu schnell, um es genau identifizieren zu können. Saharabeige, Blechbeiwagen, 2-Ventiler BMW Boxer. Entweder ältere BMW oder Russe mit BMW Motor, für eine Rommel R75 fand ich sie nicht wuchtig genug.
Als vollständiger Fußballignorant nicht wissend, dass es ein Pokalendspiel in der Glotze läuft, entschloss ich mich nach ü 250km ab zu drehen, sonst hätte ich noch länger ausgehalten. Kurz vor acht beim Engländer vorbei, die Serpentine nach Sailauf runter ausgesucht für den kurzen Weg nach Hause über Aschaffenburg. War grauenhaft. Ich hatte vorher schon beim Halt an einem Holzeinschlag gesehen, dass die Straßen keineswegs so leer waren, wie sie mir erschienen, meine Mitbürger zogen es eher vor, sich in Pulks zu bewegen, wenn man vorne fährt, ist da ja kein Stau. Weißt ja, wie so ein Treck nach Westen in die Usa, "move 'em ou-out!"
Und so auch die letzte Serpentine vor der Autobahn. Der Deutsche, besoffen von Schnitzel und Erdbeertorte, dafür aber dicht auffahrend, bei 200PS ist es ja schon ärgerlich, wenn der Vordermann so langsam fährt...
Scheiss drauf. Hab die Ruhe behalten, nicht ohne mich in regelmäßigen Abständen im Helm grunzen zu hören. Immerhin unbeschadet zuhause angekommen, auch was wert.
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Ich will das nicht mehr. Natürlich bin ich selbst auch ein Teil des Verkehrsaufkommens, aber heute eben nicht. Ich denke an die Zeit, als auf dem Dorf samstags um zwölf die Sirene ging, 20 Sekunden Dauerton, damit sie auch beim nächsten Brand sicher funzt. Danach sah man seine Mitmenschen mit grobem Reisiggerät die Straße kehren, Schwätzchen, Häusle bauen, Sportschau und gut.
Ich will die Ladenschlusszeiten wieder haben. Ich habe den Eindruck, dass die Leute mit dem american way of business nicht umgehen können und freizeitunfähig geworden sind. "Die haben doch alle so einen Bobby", sagte mein Vatter einmal und meinte leistungsstarke SUV, "dann wollen die auch damit rumfahren..."
Ist so, oder? Sind wir (Gespannfreizeitfahrer) die besseren Verkehrsteilnehmer? Haben wir einen Grund über andere zu meckern?
Hab alle Termine gestrichen, bis ich die nötigen Antworten gefunden habe.