von W-L » 27. Mai 2021 14:50
Kenu möchte mit seinem Post wissen, welche Vor- und Nachteile mit einer Verlängerung der Hinterradschwinge verbunden sind. Die praktischen Auswirkungen kann man jedoch nur feststellen, wenn man zwei baugleiche Gespanne, die sich nur in der Schwingenlänge voneinander unterscheiden, mit einander vergleicht. Da dies nicht möglich ist, nachstehend ein kleiner Exkurs in die Gesetze der komplizierten Fahrphysik eines Gespannes.
Vorweg schicken möchte ich, dass einige Modelle der damaligen Gespannmotorräder Hinterradschwingen besaßen, die sehr verwindungsfreudig waren. Verdrehungen um mehrere cm (bezogen auf die Radaufstandsfläche) waren keine Seltenheit. Schwingen dieser Bauart wurden für den Gespannbetrieb entweder verstärkt oder durch stabilere Ausführungen ersetzt. Bei einer Neufertigung bot sich dann eine Verlängerung an, um bei gleichem Aufwand (bei Motorrädern mit Kettenantrieb) einen längeren Radstand zu erhalten. Mit dem Aufkommen der Monoleverschwingen (ein Federbein vor oder neben dem Hinterrad) verschwand das Stabilitätsproblem fast gänzlich.
Vorweg schicken möchte ich auch, dass die Auswirkungen einer Schwingenverlängerung z.T davon abhängig sind, ob man sie an einem bestehenden Gespann oder bei einem Gespannneuaufbau realisiert. Meine Ausführungen beziehen sich auf die Schwingenverlängerung eines bereits bestehenden Gespannes.
Verlagert man das Hinterrad nach hinten (z.B. um ca. 50 mm) positioniert man dort auch die ungefederte Masse des Hinterrades (ca. 25 kg) und die eines Teils der deutlich schwereren Schwinge (ca. 5 kg). Der Gesamtschwerpunkt des Gespannes verschiebt sich dadurch um wenige mm in die gleiche Richtung. Die Kippneigung des Gespannes in Linkskurven wäre minimal geringer. Die Hinterradlast erhöht sich durch einen Gewichtsanteil der verstärkten Schwinge, die Vorderradlast nimmt aufgrund des geringfügig größeren Abstandes zum Schwerpunkt minimal ab. Diese Veränderungen in Verbindung mit dem längeren Radstand würden, isoliert von anderen Veränderungen betrachtet, bewirken, dass Lastwechsel (bechleunigen, verzögern, bremsen) unter gleichen Betriebsbedingungen tendenziell den gespanntypischen Rechts-/ Linksdrall mindern, da am Vorderrad der Ein- und Ausfederungseffekt geringfügig reduziert auftritt. Dieses würde sich wiederum vorteilhaft in einer geringeren Sturzänderung des Motorrades zeigen. Der eingestellte Maschinensturz und seine Veränderungen sind besonders wichtig für die Richtungsstabilität des Gespannes (je geringer die Änderung, je besser).
Die Schwingenverlängerung vergrößert den Radstand um ca. 3 %. Eine Wirkung auf die Kurvenagilität wird mit dieser geringen Änderung kaum feststellbar sein.
Mit der Schwingenverlängerung vergrößert sich leider aber auch der Vorlauf des Beiwagenrades. Im genannten Beispiel beträgt diese Änderung ca. +12 %. Sie bewirkt bei Lastwechseln eine deutlich stärkere Sturzänderung des Motorrades als vorher beschrieben, mit der Folge, dass die Richtungsstabilität bei Lastwechseln schlechter wird. Bei einem Gespannneuaufbau kann dieser Nachteil durch eine entsprechende Auslegung des Vorlaufs vermieden werden.
Vom Beiwagenrad induzierte seitliche Störeinflüsse wirken sich durch den verlängerten Radstand bei Konstantfahrt weniger aus und führen zu einem verbesserten Geradeauslauf (Länge läuft).
Durch das Zurücksetzen des Hinterrades verlängert sich der Kettenstrang und neigt stärker zum Peitschen. Hierdurch erhöht sich der Kettenverschleiß.
Gruß Walter
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W-L am 27. Mai 2021 17:31, insgesamt 1-mal geändert.